Alexander Laudenberg
Bilder
Texte
Anschrift
Vita
 
 
 

Abbilden

 

Die folgenden Überlegungen stecken den Horizont meiner Arbeit über Vorstellung, Bild und Begriff ab und sind umgangssprachlich gehalten. Wichtige Impulse zu damit verbundenen Fragestellungen lieferten neben anderen initial Herbert Silberer mit seinem Begriff des funktionalen Phänomens, den ich als Vorläufer einer nicht inhaltlichen Sichtweise auf Bildprojektion verstehe, Otto Selz und Oswald Wiener.*

 

Wenn etwas einen Inhalt hat, dann bedeutet das nicht mehr, als dass jemand seinen subjektiven Eindruck auf einen Gegenstand anwendet. Ausgehend von der Voraussetzung, dass ein Gegenstand dann und nur dann ein solcher ist, wenn er durch irgendein denkendes Subjekt wahrgenommen wird, schließe ich eine Existenz des Gegenstands, die über seine Wahrnehmung und Erkenntnis durch ein Subjekt hinausgeht, grundsätzlich aus. Alles, was ich (du, er, sie, es) erfahren habe (hast,hat), wirkt während der aktualen Wahrnehmung im Erkennen eines Gegenstands ähnlich einem Zugriff oder einer vorgreifenden Ordnungsstruktur auf den andrängenden Sinnesreiz. Setzt man solch ordnende Struktur voraus, dann funktionierte diese im einzelnen über den Rückgriff auf Erfahrungsdaten, die im Gedächtnis (= Subjekt) gespeichert sind sowie unter Einbeziehung des reinen Denkens, d. h. des Denkens abzüglich der Erfahrungsdaten. Denken verstehe ich an dieser Stelle als rein intelligibles Verarbeiten, als Hervorholen eines angemessenen Schemas zur Verarbeitung des Sinneseindrucks. Am Ende dieses mehr unmerklich oder auch unbewusst ablaufenden Zuordnungsprozesses stellt sich dann ein Gefühl von Gewissheit ein, das aber letztlich nur ein oberflächliches Bilderlebnis einer kognitiven Verarbeitung darstellt, die diesem Gefühl vorausgeht. Das aufkommende Gefühl, etwas zu erkennen, stellt erst den Schritt ins bewusste Erleben dar. Es ist der Effekt der Synchronisation eines inneren Schemas mit äußerem Sinnesmaterial: das Aha-Erlebnis von (Wieder-)Erkennung. Unmerklich, unbewusst und wie automatisch findet Denken so betrachtet als ein Strukturieren unter Zuhilfenahme des jeweils zur Verfügung stehenden Gedächtnisses (verstanden als individuelles Archiv von Strukturmustern) statt: "Das kenne ich ...; ... damit kann ich etwas anfangen...; das habe ich so schon einmal gesehen usw." Der Status solcher inneren Struktur oder solchen Schemas ist damit nicht mehr (u. nicht weniger) als der einer Form oder eines Werkzeugs, das nur noch blaß von einer ehemals primär erlebten Erfahrung zeugt, indessen aber längst vom erstmals erlebten Gehalt zur mehr oder weniger starren Verfahrensform geronnen, zum Werkzeug erstarrt ist – eingeschliffen mittels zahlloser Wiederholung und Eingewöhnung. Meiner erlernten Erfahrungen bediene ich mich demzufolge wie einer Liste von Adressschildern, die vor dem bewussten Gewahrwerden der jeweilig wahrzunehmenden Situation innerhalb meines Gedächtnisarchivs angewählt werden und 'mich' lediglich das Einrasten auf der Bildschirmoberfläche meiner inneren – jetzt erst bewussten – Vorstellung empfinden lassen.

 

Sobald man in einem Medium arbeitet, hantiert man innerhalb eines Vermittlungsapparats, der in (mindestens) einem der sinnlich wahrnehmbaren Kanäle Gehalte speichert und wieder abrufbar, das heißt vermittelbar macht. Da es jedem Medium ureigen ist, sich über irgendeinen menschliche wahrnehmbaren Sinneskanal zu vermitteln, ist die subjektive Assoziation des sinnlich Vermittelten beim einzelnen Nutzer des Medium unumgänglich. Meine Wahrnehmung ist - anders gesagt – voreingenommen, seitdem ich mir ein Gedächtnis gemacht habe, seitdem ich Subjekt bin und meine Erinnerung der aktualen Wahrnehmung assoziierbare Schemata zur (möglichst reibungslosen) Verarbeitung / Konsumierung anbietet. In welchem Maß Erfahrungen in eine Betrachtung einbezogen werden, hängt dabei grundsätzlich vom Betrachtenden und dessen Konditionierung ab, davon also, inwieweit er von Erfahrenem Gebrauch macht. Darüber hinaus setzt Kommunikation, so sie gelingen soll, eine Vereinbarung von Zeichen voraus, die das Zu-Vermittelnde in eine Form fassen, die das Zu- Vermittelnde tauschbar macht. Allgemeine Tauschbarkeit kann jedoch nur um den der Vereinfachung des Zu-Vermittlenden erzielt werden. Und je allgemeiner eine Zeichen-Vereinbarung lautet – etwa um eine größtmögliche, globale Tauschbarkeit zu erwirken – desto mehr muss das Zu-Vermittlelnde von seinen individuellen Abweichungen und Sichtweisen bereinigt werden. Vor dem Hintergrund einer mehrtausendjährigen Tauschtradition eben auch von Zeichen aller Art und einer fortschreitenden Verknüpfung historisch singulärer Kommunikationsräume sind die Beteiligten zunehmend in einen Austausch von Zeichen involviert, in welchen diese nach wie vor wie Adressen behandelt werden, ohne dass hierbei dasjenige, was diese Zeichen im einzelnen adressieren, noch weiterhin tauschrelevant wäre.

 

Ein extremes Beispiel für einen rein ikonografischen Gebrauch von visuell Wahrnehmbarem liefern populäre Bilddarstellungen, die sich ausschließlich der Emblematik oder den oben Adressschilder genannten Indizes bedienen und daran geknüpfte Strukuren oder Schemata für gegeben und unwandelbar und infolge obsolet erachten – ganz so als ob die Zeichenoberfläche des populären Emblems, Adressschildes selbst die Sache, der Begriff oder die Vorstellung wäre. Bilder sind dann ausschließlich auf bildsprachlich auswendig gelernte Erwartungen ausgerichtet. Der gegenwärtige Stand ist das vorläufige Ergebnis einer allseits bekannten mehrtausendjährigen Kommunikationskultur. Seit Erfindung der Sprache als (zunächst) klanglicher Speicherung von Bildern und Begriffen und der Schrift als äußerem Speicher gerät deren rückwirkender Einfluss auf das Denken des Einzelnen, der darin lebt, hierbei mitunter leicht in Vergessenheit. Zumal was die Vereinfachung begrifflicher Denkmuster anbelangt sitzt das ’sprachliche Handeln’ verglichen mit dem unvorgefertigten Denken am längeren Hebel. Sprache als Dokument von Kultur und von Mehrheit hat praktisch besehen im Zweifelsfall recht. Fortan agieren alle Teilnehmenden gemäß der jeweiligen überlieferten Vereinbarungstradition so tauschfreudig wie vereinfachend.

 

Im Zuge neuer und neuester nahezu echtzeitlich fungierender Medien funktioniert das als Popart und -musik: "Seh-" und "Hörschule" eines universal ausgedehnten Geschmacks (bzw. Geruchs- und Geschmacksuniversalisierungen im Bereich der weniger zentralen, der sogenannten niederen Sinne: Nahrungsmittelindustrie, Nutritionsideologien, kosmetische Chemie und Chirurgie ...).

 

Innerhalb des Wirkbereichs populärer Zeichenvorstellung bleibt keine Einlassstelle zur Strukur des bildgebenden (allg. Ästhetik stützenden) Verfahrens menschlichen Denkens und Erfahrens. Die Starrheit angesichts des immer gleichen Zeichenrepertoires und der damit einhergehende Mangel an Dynamik ist der Preis, den populäre Darstellung für ihre schnelle (Aus-)Tauschbarkeit zahlt. Mit einer Beweglichkeit im Bereich der Bild- und Zeicheninterpretation sowie einem Spiel mit wechselnden Kontextualisierungen wird der Versuch eines Ausgleichs für die strukturelle Starrheit des populären Zeichens unternommen.

 

Dass sämtliche Mediengehalte in ihrer Wahrnehmung echtzeitlich auf die ein oder andere Art vom einzelnen Betrachter wie Zeichen wahrgenommen werden, sei hier nicht in Zweifel gezogen. Allein die Routine als Garant für einen reibungslos ablaufenden Alltag außerhalb eines ästhetischen Rahmens, wie etwa dem der Kunst, stellt selbstredend ein starkes Argument für die Konzentration auf Wichtiges, Wesentliches, Eigentliches ... dar. Die Anwendung des Erlernten, nurmehr als Konditioniertes Abgerufenen, das in Gestalt der tradierten Zeichenkonventionen jedem zur Verfügung steht, führt indessen nicht aus dem bereits Bekannten oder Automatisierten heraus: das ist eine Tischform, das ein Stück abgescheuertes Holz, dies das Astwerk eines Baums, die Form eines menschl. Nasenflügels, eine Betonoberfläche, usw. – Etikette(n) des Allgemeinen. Und eine Kappung der Verbindung zwischen blanker Wahrnehmung mit Kognition (reinem Denkvermögen) einerseits und Erlerntem (Gedächtnis, Subjekt) andererseits gestaltet sich als schwierig.

In der Auswahl meiner Bild-Sujets vermeide ich, einzelne solcher Gegenstände oder auch Zeichen wie innerhalb einer Sprache in Szene zu setzen - so wie dies in zuweisender Benennung visueller Phänomene zu einem Begriff routinemäßig geschieht, um ein bloßes "Ablesen" bereits erlernter Zeichenkonvention zu unterlaufen. Das hindert nicht an einer ungebrochenen Anwendung erlernter Konventionen vonseiten des Betrachters. In der Tat: Jemand, der einzelne Bruchstücke solcher Zeichen / Gegenstände (in meinen Bildern) wie Narrative betrachtet, dürfte es zu einer ganzen Erzählung / Geschichte bringen, ohne dass deren narrative Bruchstücke am jeweiligen Bild / Wort kompositorisch latent noch manifest angelegt wären. Abbildung – gegenständlich oder abstrakt – funktioniert wie innerhalb eines Rorschachtests.

 

Da im üblichen Gebrauch des Sehsinns die angesprochenen Phänomene wie beschrieben als Zeichen oder Adressschilder verkürzt wahrgenommen werden, versuche ich vielmehr, die im Medium Bild erscheinenden Sujets im Hinblick auf das Medium Fotografie funktional offen zu halten und entsprechend durchlässig zu gestalten. Einzelne Erzählpartikel – wenn sie denn schon so in meinen Bildern als solche aufgefasst werden - zeugen zusammen mit anderen solchen Partikeln innerhalb der Bildkomposition immer auch vom Medium selbst, in dem sie erscheinen – von seiner Fähigkeit zur dimensionalen Repräsentation sowie seiner Eigenschaft, schlichtweg Apparat, reine Tara zu sein.

 

___________________

 

*Otto Selz, Über die Gesetze des geordneten Denkverlaufs, Eine experimentelle Untersuchung, Stuttgart 1913; Herbert Silberer, Bericht über eine Methode, gewisse symbolische Halluzinations-Erscheinungen hervorzurufen und zu beobachten, in: Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen (Nr. 1), Wien 1909; Oswald Wiener, Schriften zur Erkenntnistheorie, New York, Wien 1996, zus. mit Manuel Bonik u. Robert Hödicke, Eine elementare Einführung in die Theorie der Turing-Maschinen, New York, Wien, 1998, Literarische Aufsätze, Wien 1998.